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Standzeitplus beim Reiben von Sinterlegierungen

WB Werkstatt + Betrieb 9/2018

 

Ob ein mit Otto- oder Dieselmotorausgestattetes Fahrzeug eine stabile Leistung zeigt bei optimalem Verbrauch, hängt stark von der Qualität der Paarungen Ventilschaft/Ventilführung und Ventilteller/Ventilsitzringab. Die Aufgabe der Ventilführung ist es, die Koaxialität des Systems Ventilkopf/Ventilsitzring langfristig sicherzustellen. Das ist nur dann möglich, wenn die mechanische Abnutzung in der Paarung Ventilschaft/Ventilführung extremgering ist. Das wiederum ist generell nur dann realisierbar, wenn beide Reibpartner aus hoch verschleißfesten Werkstoffen bestehen, die sich in der Paarung durch einen verhältnismäßig niedrigen Reibwert auszeichnen.

 

Das Reiben erzeugt hochwertige Oberflächen mit Schmiertaschen

 

In jüngster Zeit werden im Ventilführungsbau immer mehr relativ leicht herstellbare Sinterwerkstoffe verwendet, die Eisen, Kupfer, Kohlenstoff und Legierungselemente wie Chrom Kobalt, Molybdän, Nickel und andere Spurenelemente enthalten. Chrom und Molybdän sind sehr starke Karbidbildner; ihre Mikrohärte kann zwischen 2200 HV für Cr3C2und etwa 2400 HV für MoC betragen. Ebenso wie sie sind auch Kobalt und Nickel Werkstoffe, die einerseits die Warmfestigkeit und somit die thermo-chemische Abnutzungsresistenz von Ventilführungen beachtlich steigern, aber andererseits bei deren Zerspanung Schwierigkeiten bereiten, neigen sie doch im reinen Zustand zu einer starken Schmierung und Benetzung der Schneiden des Zerspanungswerkzeugs.

Eines dieser Zerspanungswerkzeuge ist im Ventilführungsbau die Reibahle. Ihre Hauptaufgabe besteht wie auch sonst darin, die Rundheit der Bohrungen zu korrigieren. Allerdings gibt es noch einen sekundären, aber dennoch nicht minder wichtigen Effekt. Dieser lässt sich daraus erklären, dass die genannten Elemente im Sinterprozess untereinander verschiedene intermetallische Phasenherausbilden, deren Mikrohärte zwischen 400 und 2400 HV betragen kann. Werden diese Legierungen definiert gepresst und gesintert, so haben sie eine entsprechend definierte Restporosität. Die entstandenen Poren lassen sich mithilfe einer rationellen Endbearbeitung öffnen –einer Endbearbeitung mittels Reiben. Die geriebenen Oberflächen haben dann zwar eine sehr geringe Rauheit, enthalten aber auch eine gewisse Anzahl intakter, offener Schmiertaschen, die zur Reibungsminderung an den bewegten Teilen beitragen. Beginnt sich jedoch die Schneidkante einer Reibahle abzunutzen, so kommt es schon bald proportional zu ihrem Abnutzungsgrad zum Zuschmieren der Schmiertaschen an der geriebenen Funktionsfläche. Um dem Prozess dieses Zuschmierens mit Erfolg entgegenzuwirken,muss die Lebensdauer der besonders scharfen Schneiden einer Reibahle durch eine gezielte Hartmetall-Auswahl und eine streng definierte Oberflächenveredelung der Schneiden so weit wie möglich verlängert werden.

 

 

 

 

 

Verschiedene Ventilführungen

Die Fertigung ihrer Innenkonturschließt ein Reibprozess ab, der die Rundheit verbessert und zugleich sogenannte Schmiertaschen in die Oberfläche einbringt

Zum Veredeln der scharfen Schneiden waren die Schichten bislang zu dick

 

Bei der Wahl des Hartmetalls sind je nach Einsatzfall entsprechende Kriterien zu berücksichtigen. Zu den wichtigsten gehörender Typ des Hartmetalls (K oder P), bestimmte Relationen, zum Beispiel die des Kobalts zum Wolframkarbid (WC ) oder des Titancarbides (TiC) zum WC, die optimale Korngröße (grob, fein, superfein),die Geometrie der Schneiden, die Wärmeleitfähigkeit und die Abriebfestigkeit, der Reibkoeffizient in der Paarung Hartmetall/Sinterwerkstoff sowie die Neigung zum Kaltverschweißen mit Nickel und Kobalt und deren Legierungen. Leider erweist sich ein optimal ausgewähltes Hartmetall mit einer Makrohärte von etwa 1850 HV im Kontakt mit einer Sinterwerkstoff-Komponente wie MoC mit einer Mikrohärte von rund 2400 HV als ein ausgesprochen schwacher Partner, und es kommt relativ schnell zu einer Abnutzung des Hartmetalls.

Diese Tatsache zwang bereits vor Jahren sowohl Werkzeuganwender als auch Hersteller, nach stark verschleißmindernden Möglichkeiten zu suchen. In dieser Zeit waren in der Technik schon das Hochtemperatur-CVD- und alle drei PVD-Verfahren industrialisiert. Leiderhaben sich das Hochtemperatur-CVD-Verfahren und alle drei PVD-Verfahren für die Oberflächenveredelung von besonders scharfen Schneiden als ungeeignet erwiesen. Die Ursache ist in allen vier Fällen die Ausbildung einer relativ dicken, die Schneiden verrundenden Schicht mit einer Dicke zwischen 4,5 und 8 μm. Derart dicke Hartstoffschichten sind für ein Reibwerkzeug, das zur Endbearbeitung von Ventilführungen verwendet werden soll, ungeeignet.

Es war klar: Um dünnere Schichten zu erhalten, würde es extrem harter Stoffe und ganz spezielle Beschichtungsverfahren erfordern. Schon in den Siebzigerjahren ließ sich sowohl wissenschaftlich als auch industriell feststellen, dass Metallnitride die besten abriebresistenten Hartstoffe für Spanflächen sind sowie Multi-Metallkarbide für die Freiflächen. Leider erwies sich die Herstellung dieser Schichten mittels PVD-Technologie aus physikalischen Gründen als nicht realisierbar, und das blieb so bis heute.

Im Technischen F&E-Zentrum im baden-württembergischen Schömberg wurde ab 1993 nach einer Möglichkeit gesucht, Metallkarbide im wie erforderlich niedrigen Temperaturbereich von 480 bis 600 °C auf Werkzeugen abzuscheiden. Erst vor gut zweieinhalb Jahren gelang dies – zum ersten Mal auf der Welt. Im halbtechnischen Maßstab konnte sowohl auf Stahl als auch auf Hartmetall das stöchiometrische Titankarbid abgeschieden werden, ein Stoff, der sich durch eine besonders hohe Abriebresistenz gegenüber allen Metallkarbiden und -nitriden, eine hohe Mikrohärte von 3200 HV, einen Reibungskoeffizienten von 0,11 in den Paarungen TiC/TiC und TiC/Sinterwerkstoff sowie eine sehr geringe Neigung zum Kaltverschweißen auszeichnet.

 

 

 

 

 

Grundstruktur einer Titan-Wolframkarbid–Monoschicht an einem Werkzeugstahl. Die Schichtdicke beträgt 1,6 μm

Auch CBN-Werkzeuge können nun superdünn beschichtet werden

 

Und so lassen sich karbidische Nanoschichten und Mikroschichten nun auch auf besonders scharfen Schneiden abscheiden. Zum Beschichten kommen nicht nur Reibahlen, sondern auch Bohrer, Fräser, Gewindebohrer, Gewindeformer aus HSS und Hartmetall sowie andere Werkzeuge infrage. Sie können problemlos im industriellen Maßstab im Lohnbeschichtungszentrum des Technischen-F&E-Zentrums in Langenbrand beschichtet werden.

Das neue Verfahren – das 3D-Tieftemperaturverfahren(3D-TT-CVD-Verfahren) – besteht aus vier Unterverfahren: dem Desoxidierverfahren, dem Ausheilen der durch Erodieren oder zu heißes Schleifengeschädigten Oberfläche, dem Hochleistungsimplantieren und dem Abscheiden eines dafür konstruierten Nano-Hartstoffsystemsauf der Werkzeugschneide. Das Verfahren eignet sich nicht nur zum Beschichten von Hartmetall-, sondern auch von CBN-Werkzeugen, schließlich werden auch diese zur Bearbeitung von Grauguss und Sintermetallen relativhäufig verwendet. Der Vorteil der Hartmetall- gegenüber den CBN-Werkzeugenbesteht bekanntlich im kleineren (schärferen)Schneidkeil, im leichteren Instandsetzen verschlissener Werkzeuge und in einer vergleichsweise geringen Neigung zum Kaltverschweißen bei beschichtetem Hartmetall.

Das Bearbeiten eisenhaltiger Sinterlegierungen mittels PKD- oder CVD-Diamant-beschichteter Werkzeuge ist aus physikalischen Gründen praktisch nicht möglich.

 

 

 

 

 

 

 

Mit Titan-Wolfram-Karbidbeschichtete HSS und Hartmetall-Reibahlen

Die 1,5 μm dicken Karbidschichten vervielfachen die Standzeit

 

Dank dem neuen 3D-TT-CVD-Verfahrenkönnen zum ersten Mal an der Freifläche einer Reibahle 1,5 μm ›dicke‹ Titankarbide, Titan-Chrom-Karbide, Titan-Wolfram-Karbide und in der Spannutentsprechende Metallnitride in einer definierten Zusammensetzung bei etwa480 und 600 °C abgeschieden werden. Mithilfe von Vollhartmetall-(VHM-)Reibahlen, die auf diese Weise beschichtet wurden, konnte die Standzeit beim Bearbeiten von Sinterwerkstoff des Typs FeCuCrCoNiS um das Siebenfache, im Sinterwerkstoff des Typs FeCrCoNiSMo um das Fünffache im Vergleich zu mit TiAlN beschichteten Werkzeugen verbessert werden. Ähnliche Ergebnisse ließen sich auch bei VHM-Bohrwerkzeugen sowie Gewindebohrern und -Formern erzielen.

 

Die praktische Anwendung dieser karbidischen Hartstoffe führt zu einer proportionalen Reduzierung folgender Parameter:

  • Gesamt-Anzahl der Werkzeuge
  • Kosten für Werkzeugbeschaffung, Werkzeug-Eingangskontrolle, Werkzeugvoreinstellung und Werkzeug-Instandsetzung
  • Gesamt-Fertigungszeit,
  • Anzahl der Umrüstperioden
  • Kontrollkosten der fertigen Teile
  • Ausschuss
  • Kosten für Montage und Demontage von Hilfsvorrichtungen
  • Maschinenstillstandszeiten
  • Kosten für die Beschaffung (solche für Anfragen, Angebote, Angebotsauswertung, Bestellungen, Mahnungen, Reklamationen und Telekommunikation) und Kosten für innerbetrieblichen Transport
  • Energiekosten (die Stromaufnahme beim Zerspanen mit Werkzeugen, die nach dieser Methode beschichtet wurden, ist im Schnitt um 12 bis 18 Prozent niedriger)
  • Lagerflächen und -kosten

Gegenwärtig wird im Technischen F&E-Zentrum an einer weiteren Vergrößerung des Lohnbeschichtungszentrums gearbeitet. Parallel dazu optimiert man die Oberflächenveredelung von CBN-Werkzeugen, die zum Bearbeiten von Edelstahl, Werkzeugstahl und Gusseisen verwendet werden.

Impressum Verlag: Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, Kolbergerstr. 22, 81679 München; © Lizenzausgabe mit Genehmigung des Carl Hanser Verlags, München.

 

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